Die Pulswellenanalyse und ihre Parameter

Die moderne Pulswellenanalyse erlaubt die direkte Messung und Berechnung einer Vielzahl von wertvollen physiologischen Parametern, deren Aussagekraft von klassischen Blutdruckwerten ergänzen oder deutlich übertreffen.

Im Folgenden werden die Parameter kurz erläutert und deren Bedeutung für therapeutische Entscheidungen dargelegt.

Die zentrale Pulswellengeschwindigkeit

Die Pulswelle geht vom linken Ventrikel aus und wird durch das arterielle Gefäßsystem in die Peripherie geleitet. Die Elastizität der Gefäßwände spielen bei der Fortleitung des Pulses eine entscheidende Rolle: Je starrer und unelastischer die Gefäßwände, desto schneller werden die Pulse weitergeleitet. 

Die Pulswellengeschwindigkeit (PWV, "pulse wave velocity") ist somit ein direktes Maß für die im Alter zunehmende Steifigkeit der arteriellen Gefäße.

Man muss dabei zwischen der zentralen PWV und der periphären PWV unterscheiden. Die zentralen Arterien transportieren das Blut passiv und lassen sich mit elastischen Schläuchen vergleichen. Die periphären Gefäße sind aktive Organe mit muskulären Wänden. Die PWVs unterscheiden sich somit prinzipbedingt voneinander und korrelieren nur bei gesunden Patienten miteinander. Obwohl die Messung der periphären PWV z.B. mit Laufzeitmessungen zwischen Extremitäten-Manschetten oder SpO2-Sensoren  einfach erscheint, ist die Aussagekraft bezüglich des kardivaskulären Risikos eher begrenzt.

Wesentlich interessanter ist die zentrale PWV. Sie lässt sich nicht invasiv messen, indem z.B. die Zeitdifferenzen zwischen den Pulswellen an zwei unterschiedlich distalen Positionen mit Drucksensoren bestimmt werden. Die Wegstrecke, welche die Pulswelle in dieser Zeit zurücklegt, lässt an Hand anatomischer Körpermarken oder aus Durchschnittswerten in Abhängigkeit der Körpergröße abschätzen.

Alternativ lässt sich die zentrale PWV auch aus der Analyse der Pulswellenform bestimmen, wie sie mit einer einfachen Manschettenmessung am Oberarm erfasst werden kann: 

Die brachial gemessene Pulswelle ist eine Überlagerung aus der initialen an der Aortenwurzel entstehenden Druckwelle und an allen Bifurkationen reflektierten Pulswellen. Mit mathematischen Methoden lassen sich die aortale Druckwelle und die reflektierte Druckwelle separieren. Der erste wesentliche Reflexionspunkt stellt die terminale Bifurkation der Aorta dar. Aus dem zeitlichen Versatz zwischen initialen Pulswelle und dem Beginn der reflektierten Welle lässt sich die Laufzeit der Pulswelle, und falls die Länge der Aorta von der Wurzel bis zur terminalen Bifurkation korrekt abgeschätzt wird, die zentrale PWV berechnen.

Diese Methode der Bestimmung der aortalen PWV ist gut validiert und lässt sich innerhalb weniger Minuten genau so einfach wie eine Praxis-Blutdruckmessung durchführen. 

Der diagnostische Wert ist durch die ESC/ESH-Empfehlungen unterstrichen und lässt sich somit gemäß GoÄ oder IGEL abrechnen.

Die zentrale Pulswellengeschwindigkeit beträgt bei gesunden Menschen mittleren Alters ca. 5-6m/s. Bei fortschreitenden Alter und/oder früher Arteriosklerose steigt die Pulswellengeschwindigkeit auf Werte von ca. 10m/s an. Lt. Leitlinien der ESC/ESH wird bei einer aortalen PWV von über 10 m/s (bzw. 12 m/s, je nach Messmethodik) von einem Endorganschaden ausgegangen, auch wenn der Patient ansonsten asymptomatisch ist. 

Sämtliche Patienten, selbst die, die nur einen leicht erhöhten Blutdruck zeigen, gehören somit in diesem Falle zur Risikoklasse "4" mit moderatem bis sehr hohem kardiovaskulärem Risiko.

Das Gefäßalter

Mit zunehmenden Alter "verschleißt" das Elastin in der Media der zentralen Arterien und wird durch das sprödere Kollagen ersetzt. Hierdurch verliert die Aorta an Elastizität und die PWV nimmt zu. Später lässt sich die Verkalkung auch sonographisch durch eine Intima Media Messung erkennen.

Studien mit gesunden normotonen Patienten haben charakteristische Altersabhängigkeit der PWV gezeigt. Die altersabhängige Häufigkeitsverteilung der PWV lässt sich auch dazu nutzen, um umgekehrt aus der gemessenen PWV das typische Patientenalter zuzuordnen. Dieses Alter wird "Gefäßalter" genannt.

Es eignet sich hervorragend, um Patienten den Zustand ihres Gefäßsystems transparent zu machen und somit z.B. die Therapie-Compliance zu verbessern oder einen gesünderen Lebensstil zu motivieren.

Der Augmentationsindex 

Pulswelle bei sehr jungen Patienten und niedriger PWV (grobe Skizze zur Illustration, eine zusätzliche Zacke, die durch den Verschluss der Aortenklappe verursacht wird, ist weggelassen worden).
Pulswelle bei sehr jungen Patienten und niedriger PWV (grobe Skizze zur Illustration, eine zusätzliche Zacke, die durch den Verschluss der Aortenklappe verursacht wird, ist weggelassen worden).
Pulswelle bei positven Augmentationsindex
Pulswelle bei positven Augmentationsindex

Der größte Teil der Pulswelle wird nicht an den Abzweigungen der Aorta, sondern am Übergang zwischen Aterien und Ateriolen reflektiert. Sind die periphären Gefäße steif oder verengt, ist diese Reflexion stärker und die reflektierte Welle gelangt früher zur Aortenwurzel zurück. Der reflektierte Puls kann sogar so früh wieder am Herzen eintreffen, dass es das Ventrikel noch vor Ende der Systole erreicht. 

Der Druck der auslaufenden Pulswelle addiert sich dann mit der reflektierten Welle. Ist dieser Überlappungsbereich hinreichend groß, übertrifft die Summe der aus- und einlaufende Pulswelle das Maximum der Pulswelle der auslaufenden Welle alleine. Man spricht von einer "Überhöhung" der Pulswelle, die sich quantitativ mittels Pulswellenanalyse bestimmen lässt. 

Das Ergebnis heißt "Augmentationsindex", wird mit AIx bezeichnet und ist definiert als "Augmentationsdruck / Pulsdruck x100". 

Der Augmentationsindex hängt vom Zeitpunkt  (PWV, Körpergröße, HF) und der Größe der reflektierten Pulswelle (Vasokonstriktion, Sympathikotonus, Endothelfunktion) ab.

Bei hohem Augmentationsindex trifft die reflektierte Pulswelle auf eine noch geöffnete Aortenklappe und wirkt dem systolischen Auswurf entgegen. Der Blutstrom wird abgeschwächt und somit die periphäre Perfusion gestört. 

Da der gemessene AIx u.a. von der Sympathikusaktivierung abhängt,  ist hier, ähnlich wie bei der Blutdruckmessung, ein "Weißkitteleffekt" nicht auszuschließen. Es erscheint daher sinnvoll, die Pulswellenanalyse, wie bei einigen Geräten (z.B. Mobil-o-Graph) über 24h zu messen.

Alters- und gescchlechtsabhängige Sollwerte für AIx@75 (mit freundlicher Genehmigung der I.E.M. GmbH)
Alters- und gescchlechtsabhängige Sollwerte für AIx@75 (mit freundlicher Genehmigung der I.E.M. GmbH)

Der AIx wird häufig als AIx@75 angegeben, hierbei wird der HF-abhängige Wert auf eine HF von 75/min umgerechnet. Es existieren für unterschiedliche Populationen altersabhängige Sollwerte. Ein hoher Augmentationsindex ist ein unabhängiger kardiovaskulärer Risikofaktor. Die Fa. I.E.M GmbH, Stollberg hat eine eigene Studie mit 2000 Probanden unterschiedlichen Alters durchgeführt und hieraus gerätespezifische Sollwerte ermittelt.

Die neuesten Leitlinien zum Hypertoniemanagement der ESC/ESH empfehlen die Messung von Augmentationsindex für jüngere Patienten mit isolierter syst. Hypertonie. Bei vielen dieser Patienten überhöht sich der brachial gemessene Blutdruck aufgrund der Gefäßanatomie. PWV und Augmentationsdruck sind dann jedoch normal. Diese Patienten tragen kein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko und würden von einer medikamentösen Therapie kaum profitieren.

Der zentrale Blut- und Pulsdruck 

Der SBP und PP einer Pulswelle wird entlang seines Verlaufs von der Aortenwurzel bis zur Brachialis auf Grund zunehmender Gefäßsteifigkeit und abnehmenden Querschnitt immer größer. Ähnlich wie der Augmentationsindex lässt sich auch der zentrale Blutdruck aus der Pulswelle errechnen. Verglichen mit invasiv gemessenen ao-Drücken wird eine sehr gute Übereinstimmung erreicht.

Der zentrale systolische Blutdruck drückt die kardiale Nachlast aus; ein dauerhaft überhöhter zentraler Blutdruck führt so mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Hypertrophie. Der zentrale systolische Druck bestimmt ferner das Risiko einer Schädigung des ZNS oder der Nieren auf Grund ihrer direkten vaskulären Verbindung mit der Aorta.

Eine große Anzahl von Publikationen lassen inzwischen Metastudien zu, so dass populationsübergreifende Normwerttabellen zur Verfügung gestellt werden können (Herbert A., et al., Eur Heart J. 2014 Nov 21;35(44):3122-33).

Cardiac Output oder Stroke Volume

Das Schlagvolumen oder der Cardiac Output gehört sicherlich zu den wichtigsten Parametern zur Beurteilung der Pumpleistung des Herzens. Da die Pulswellenanalyse die initiale Pulswelle rekonstruieren kann, lässt sich aus der Fläche unterhalb der Druckkurve und einigen anatomischen Annahmen auch das Schlagvolumen abschätzen. Natürlich ist die Genauigkeit der Bestimmung des Schlagvolumens aus der brachialen Pulskurve nicht vergleichbar mit invasiven Methoden, z.B. Thermodilution oder z.B. der Inertgas-Rückatmungsmethode. Dennoch bietet der so bestimmte Wert einen guten Anhaltspunkt. Das Verfahren wird in [S. Wassertheurer et al., Simulation Modelling Practice and Theory 16 (2008) 988–997] zusammen mit ersten Vergleichsstudien zu invasiven Verfahren genauer beschrieben.

Periphäre Gefäßwiderstand (TPR)

Der totale periphäre Gefäßwiderstand, TPR beschreibt das Verhältnis des MADs zum Cardiac Output und wird vornehmlich durch den Durchmesser der periphären Gefäße bestimmt. Er Beschreibt den Strömungswiderstand des Blutes und bestimmt somit die karidale Nachlast.

Aufgrund der Kenntnis des Cardiac Outputs und der MADs lässt sich der TPR leicht abschätzen, wenn man den zentralvenösen Druck außer Acht lässt, da TPR = (MAD-ZVD)/CO und ZVD << MAD ist. 

Die Normwerte werden in der Literatur mit 700-1600 dyn*s-cm⁵ angegeben, dies entspricht 0,53-1,13 mmHg*s/cm³ in den Einheiten, wie sie z.B. bei dem Mobil-O-Graphen angegeben werden.

CAVI-Parameter

Der Parameter "CAVI" (Cardio-Ankle-Vascular-Index) beschreibt die vaskuläre Gefäßsteifigkeit mit einem handlichen Messwert, der zentrale und periphäre Gefäße umfasst. Die Messung des CAVI-Parameters erfordert neben der Oberarmmanschette, eine Beinmanschette, die knapp oberhalb des Knöchels angebracht wird und ein PCG Mikrophon, das auf dem Sternum aufgelegt wird. Der CAVI-Parameter bietet den entscheidenden Vorteil, dass bei der Messung der Gefäßssteifigkeit auch bei transient erhöhtem Blutdruck unbeeinflusst bleibt. Mit anderen Worten: Der "Weißkitteleffekt" wird noch deutlicher reduziert, als bei der der Betrachtung der Pulswellengeschwindigkeit allein:

Neben der pathologischen oder altersbedingten Versteifung der Gefäßwände, wird die Pulswellengeschwindigkeit auch durch den intraluminellen Blutdruck erhöht, selbst wenn dieser rein physiologisch z.B. auf Grund der Aufregung bei der Untersuchungssituation bedingt ist. Dies lässt sich dadurch erklären, dass durch den erhöhten Innendruck der Gefäßdurchmesser erhöht wird und dadurch das Gefäß stärker vorgespannt wird. In der Folge wird die Gefäßwand gestrafft und leitet somit auch Pulswellen schneller fort, obwohl die Gefäßwände strukturell gesund und elastisch sind. 

In den CAVI-Parameter gehen neben der PWV auch das Verhältnis aus syst. und diast. Blutdruck ein. Letzteres gleicht die mechanische Vorspannung der Gefäße durch einen während der Messung möglicherweise erhöhten Blutdruck aus.  

Ein weiterer Vorteil des CAVI-Parameters ist, dass er linear mit dem Alter ansteigt und somit leicht interpretierbar ist.

Die praktische Bestimmung der CAVI-Werte erfolgt vornehmlich mit dem Vasera System der Fa. Fukuda-Denshi, Japan aus der Messung der Zeitdifferenzen zwischen Systole, gemessen mit einem Herzschallsensor und Eintreffen Pulswellen an den Extremitätenmanschetten. Gleichzeitig wird durch diese Messung auch der ABI bestimmt.

 

(Einen Vergleich cfPWV, baPWF, CAVI und AI liefert: Gomez-Sanchez et al.; "The Association Between the Cardio-ankle Vascular Index and Other Parameters of Vascular Structure and Function in Caucasian Adults: MARK Study."; J Atheroscler Thromb. 2015 Sep 16;22(9):901-11)